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Susanne Wiest beim Locken drehen! |
Ein ganz und gar unvollständiges Porträt einer zauberhaften Piratin von der Greifswalder Wieck. Die Grundeinkommenaktivistin will mit vielen guten Ideen die Schatzkammern des Bundestages füllen.
„Bist du jetzt Politikerin?“, frage ich Susanne bei meinem gestrigen Besuch. Mag sein, dass sich meine Nase dabei fast unmerklich ein wenig rümpft. „Nö.“, antwortet sie ganz spontan. „Aber Spitzenkandidatin!“ Beide prusten wir daraufhin los. Lachen hilft bei der Befreiung von alten Begriffen und Vorurteilen. Herrlich! Und auch meine Nase entspannt sich jetzt. Wir essen riesige Schoko-Glückskekse, die ich aus Wismar mitgebracht habe. Susanne, die Parteienskeptikerin, rollt dabei einen Spruch über Chaos und verborgene Schätze auf und lacht. „Oh ja. Das passt.“
Seit zwei Jahren ist sie Mitglied in der „wildesten Partei Deutschlands“ – und heute auf Listenplatz 1.
„Ich will in den Bundestag!“, sagt die rot gelockte Piratin entschlossen. „Die wichtigen Themen wollen dorthin.“
„Ohne Partei ist es schwer, hier etwas mitzugestalten“, spricht Susanne aus Erfahrung. „Parteien sind wie ein Link zum Gesetzgeber und oft die einzige Möglichkeit, an die Legislative ranzukommen. Das ist nicht optimal und auch altmodisch. Doch die Form ist so“, bekennt die 46-Jährige. „Das wird jedenfalls ein lustiger Sommer“, schmunzelt sie und wickelt eine von ihren ungebändigten Locken um den Finger. „Ich fahre eben diesmal nicht nach Italien, sondern mache lieber noch eine Runde Demokratie.“
Das erste Mal begegne ich Susanne Wiest im Januar 2009 im HCC Hannover. Sie hält dort ihre erste Rede zum Thema Grundeinkommen. Die online-Petition der Tagesmutter aus Greifwald erregt seit Wochen Aufsehen. Auch ich bin angereist, um jene Frau kennenzulernen, die mich aus einem gut bürgerlichen Dornröschenschlaf gerissen hat. Seit ich durch Susanne Wiest vom Impuls des BGE gehört habe, bin ich wie elektrisiert. Entschlossen und begeistert leite ich die Petition an Freunde weiter, lese, reise, recherchiere und fühle wieder Zuversicht und Freude auf dem Ackerboden lebendiger Demokratie. Zusammen mit Götz Werner, Sascha Liebermann, Ute Fischer und Gerald Häfner spricht Susanne damals von der Bühne in der Eilenriedehalle zu einem bunt gemischten Publikum. Ich kenne die Leute links und rechts neben mir auf den Zuschauerstühlen gar nicht, spüre jedoch binnen kürzester Zeit eine Vertrautheit und Verbundenheit, die damals für mich noch ganz neu war und die mich bis heute trägt.
Etwa eine Woche später bricht der Server des Bundestages zusammen. Die mächtige Resonanz der Mitzeichner legt ihn für zwei Stunden lahm. Die Idee eines bedingungslosen sGrundeinkommens bündelt Kräfte und Mächte und verbreitet sich wie ein Lauffeuer. 52.973 Unterschriften innerhalb kürzester Zeit. Rekord! Zur Bundestagswahl 2009 tritt Susanne als parteilose Einzelbewerberin im Wahlkreis Greifswald-Demmin-Ostvorpommern an. Im November 2010 bringt sie ihr Anliegen vor dem Petitionsausschuss im Deutschen Bundestag vor. Graswurzeldemokratie.
Und heute.
Was ist anders?
„Es ist eher komplizierter als einfacher geworden“, sagt die Piratin. „Ich weiß noch gar nicht so wirklich, welches Element jetzt dazu gekommen ist?“ Sie hält einen Moment inne. „Der Garten hat einen Zaun. Die Partei stellt auch eine Grenze dar. Ich werde mit vielen Leuten und Meinungen in einen Topf geworfen. Für mich ist es Wagnis und Aufgabe zugleich, diese Vielfalt und Widersprüchlichkeiten auszuhalten und oft einfach so stehen zu lassen.“
Vor einer Woche war Piratenparteitag in Neumarkt. Zeitgleich ein anderes Highlight für Susanne Wiest: Wagenburgtreffen in Münster. Sie verbindet das eine mit dem anderen. Auch im Herzen. „Münster war wie ein Klassentreffen nach vielen Jahren. Dort ist alles erblüht. Ich war ganz berührt.“
Viele Jahre hat Susanne selbst in einem blauen Zirkuswagen gelebt. Ihr Sohn Joshua ist dort geboren. „Fünf Leute auf 40 Quadratmetern – dafür sehr viel Wiese und Land drumherum.“
Die Wagenburg ist wie ein Gleichnis für die gebürtige Bayerin. „Du lebst in einer Gemeinschaft, machst Wege, pflanzt Obstbäume an, es gibt keinen Chef, wenig Reglementierungen – und jeder Wagen sieht anders aus. Der eine mag eben Schrottkunst vor der Tür, der nächste viele Blumentöpfe, einem dritten ist beides wurscht. Und doch ist jeder Wagen für sich individuell und schön. Man wird so deutlich. In einer Mietwohnung wird das Bedürfnis, sich zu zeigen, doch oft völlig erstickt. Ein bunter Fußabstreifer und ein Kranz an der Tür – das war’s dann. Da halte ich es lieber mit Hundertwasser, der gesagt hat, jeder sollte doch zumindest so lang sein Arm mit dem Pinsel aus dem Fenster reicht, sein Haus bunt bemalen dürfen. Dann kann ich zu meinen Freunden sagen: Schau, das dort, mit den gelben Margeriten mit den blauen Punkten, das ist meins.“
Gleichschaltung ist für Susanne Wiest völlig uninteressant. Langweilig! Vielmehr beschäftigt sie die Frage: Wie geht das mit der Individualität und der Gemeinschaft?
„Das ganze ist ein riesiges Experiment. Schnelle Lösungen gibt es nicht. Dazu sind die Dinge zu komplex. Jene, die immer gleich fertige Analysen und Antworten parat haben, sind meist im alten Denken verhaftet und folgen überholten Mustern. Mit Wandlung hat das nichts zu tun.“
Ich frage Susanne nach ihrer Erfahrung mit der Bedingungslosigkeit.
„Für Leute ist das oft Schocking!“, erfährt Susanne in Gesprächen zum Grundeinkommen immer wieder. „Dabei erlebt jeder von uns, wenn er Glück hat, immer wieder Formen der Bedingungslosigkeit. Zum Beispiel in der Familie oder bei Freunden: Ich muss nicht erst irgendwas leisten, um ein Abendessen zu bekommen. Sobald wir etwas schenken, machen wir auch Bedingungslosigkeit erlebbar. Kürzlich habe ich darüber nachgedacht, dass auch viele Abgeordnete bereits von einer gewissen Bedingungslosigkeit berührt sind. Sie bekommen ihre Diäten, ob sie dafür nun Reden halten oder Anträge einbringen oder nicht. Manche tauchen nicht mal im Parlament auf. Geld bekommen sie dennoch. Diäten sind kein leistungsbezogenes Einkommen. Sie machen im Grunde einen großzügigen Rahmen von bedingungslosem Vertrauensvorschuss deutlich. So neu ist der Gedanke also nicht. Wir alle müssen uns dieses Feld nur mehr und mehr bewusst machen und weiter erforschen.“
„Ich will dahin gucken, wo es klappt“, sagt Susanne. Ich lauer nicht auf Fehler! Vielfalt ist der wahre Zauber!“
Tatsächlich wollte sie als Kind Zauberin werden. „Manchmal habe ich mir vorgestellt, wie es wäre, wenn eine gute Fee mit drei freien Wünschen zu mir käme. Und ich wusste, dann werde ich schlau genug sein und mir nicht Taschentuch, Roller oder sowas Dämliches wünschen, sondern den großen Coup landen: Ich will eine Zauberin sein! Dann kann ich mir eh alles wünschen.“
Susanne lacht. „Ja, ich wollte immer etwas werden und sein, wo ich frei bleibe.“
Magie in ihrem Leben erlebt sie auch ohne gute Fee immer wieder.
„Wunder geschehen!“, weiß sie.
Und daran sind Menschen beteiligt.
„Immer wieder habe ich wundersamste Unterstützungen und Zufälle erlebt“, erzählt sie. „Oft an einem Punkt, an dem ich der Verzweiflung nah war und dennoch meine Ängste wieder ein Stück loslassen konnte. Mein Motto: Ich mache jetzt, was ich wirklich machen will. Alles andere ist mir egal…. und dann ging es auch und die verrücktesten Dinge und Menschen kamen auf mich zu.“
Sich zu verbiegen, nur um Geld zu verdienen, ist unwürdig. Menschen auszugrenzen, weil sie kein Geld haben, ebenso. „Diesen Stress dürfen wir heute niemandem mehr antun“, sagt Susanne Wiest. „Ich bin mit dem ganzen Thema auch noch nicht durch“, gesteht sie. „Doch Einkommen und Arbeit habe ich weitgehend in meinem Denken und Tun entkoppelt. Wir glauben, Geld ist der Motor für alles in unserer Gesellschaft. Doch dass wir etwas tun, etwas Neues tun, ist die wahre Schöpferkraft. Alles, was ich auch für andere tue, ist gestaltende Arbeit, kreative Arbeit. Immer wieder stehe ich vor dem Nichts, aber ICH WILL!“
Die Gesellschaft macht gerade einen gewaltigen Wandel durch.
„Es will etwas werden“, spürt Piraten-Zauberin Susi.
„Die richtige Arbeit teil sich mit. Es gibt eine Freiheit in der Hinwendung zu dem, was ich wirklich tun will. Eine wirkliche Aufgabe kannst du nur schöpferisch ergreifen. Niemand kann sie dir überhalftern oder aufzwingen. Das ist verrückt. Wenn du wirklich von einer Aufgabe angesprochen wirst, die zu dir passt, dann spürst du es und es ist dir eine Ehre, sie in dieser Welt zu tun. Das ist das wirklich Neue.“
Humane Schöpfer-Magie.
Susanne Wiest hat ihr Ding gefunden.
„Ich bin so sehr in das Grundeinkommen verliebt!“, strahlt die zweifache Mutter fröhlich.
„Dabei kann ich meine Liebe nicht mehr so exklusiv platzieren. Liebe ist eine Grundhaltung. Jemand sagte kürzlich: Geben und Teilen sind der neue Reichtum. Dem stimme ich dankbar zu. Und ich vertraue. Immer wieder.“
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Piratin vor Schiff. |
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Latte Macchiato an der Wieck. |
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Sonniges Blühen mit Bedingungslosem Grundeinkommen. |
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Susanne und Marc im Gespräch. |