Berufswege – Der Film

Ausgestattet mit dem Mut zur Selbstbestimmung, der Sehnsucht nach Freiraum und vielen Fragen, die das All-Tägliche überschreiten, realisieren Caroline Schwarz und Joshua Conens seit sechs Jahren gemeinsame Filmprojekte. Vollzeit.  „Berufswege“ ist dabei ihr erster Dokumentarfilm. Filmische Porträts über drei Menschen und ihre individuellen Berufswege. Premiere war letztes Jahr in Berlin – ihrer Wahlheimat. Dort treffe ich vor einigen Wochen die beiden jungen Filmemacher. Lokaltermin 21 Uhr in ihrer Altbauwohnung in Neukölln. Ungewohnt spät für einen Interviewtermin, wie ich finde. Geistige Hoch-Zeit für die tendenziell nachtaktiven Kreativen. Caroline und Joshua arbeiten oft bis in die frühen Morgenstunden. Mittagessen gibt’s spät am Abend. Auch heute ganz unkompliziert Indisch aus der Assiette. „Das ist das Coole an Berlin“, sind sich die beiden einig. „Du kriegst hier einfach alles und zu jeder Zeit.“  Faszinierend. Wir genießen und reden dann miteinander bis weit nach Mitternacht.
Caroline ist an der Ostsee aufgewachsen, Joshua im Ruhrpott. Kennengelernt haben sich die beiden 2005 auf einer Bühne. Zufall. Beide hatten Spaß am Theaterspielen. Das war während der Schulferien. Schule. Ansonsten ein Reizwort für die beiden. Caro hätte am liebsten schon nach der 8. Klasse das Weite gesucht: Indien, kellnern oder Schauspielschule. „Schon damals habe ich viele verlockende Alternativen gesehen.“ 
Sie zieht das Abi dennoch durch, schreibt erste Drehbücher, organisiert Filmtreffen, sucht Mitspieler und gestaltet ihren eigenen Weg. Dann nach den mündlichen Prüfungen nichts wie weg. Feierliche Zeugnisübergabe und Abi-Ball finden ohne sie statt. „Zu der Zeit steckten wir bereits mitten in den Dreharbeiten zu unserem ersten Spielfilm ‚EinLeben`“, erinnert sich die heute 22-Jährige.
Auch Joshua, 24,  beschäftigt früh die Sinnfrage. Und obwohl an der Rudolf Steiner Schule in Witten, findet auch er dort keine passenden Antworten – fühlt sich von Lehrern regelmäßig gebremst und enttäuscht. Er beendet seine Schullaufbahn kurz vor dem Abitur, trotz der Möglichkeit, einen guten Abschluss mitzunehmen. „Ich wollte mich mit den Inhalten, Themen und Projekten beschäftigen, die mich interessieren und nicht den Staat“, beschreibt Joshua seinen damaligen Frust. „Ich wollte Neues denken und erleben, mich fragen, was mich wirklich interessiert. Darin sehe ich die Aufgabe unserer Zeit, sich wirklich zu fragen, was man tun möchte.“ Mit vier weiteren Leuten nimmt er sich nach der 12. Klasse ein Jahr Zeit für die Suche nach dem eigenen Weg. Radikal. Die von Sehnsucht nach eigenen Wegen getriebenen Rebellen gestalten ihr 13. Schuljahr selbst: Freiheit, Lernen und Gemeinschaft. Das Projekt „Yumendo“ (www.yumendo.de) bringt einigen Wirbel.
Ich frage Joshua nach seiner Berufung. Er antwortet: „Ich forsche danach, wie junge Leute zu ihrem Beruf finden.“ Caroline sieht sich mehr als Künstlerin. „Ich will Filme machen.“ Für sie ist Kunst das Ur-Erlebnis schlechthin. Sie möchte durch ihr Tun andere Menschen inspirieren.
Joshua: „Menschen, die glauben, sie müssten von außen klar gesagt kriegen, wo es lang geht, weil sie selber nichts sind und nichts können und das Menschenbild haben, dass der Mensch dressiert sein muss von oben…, ok, die sollen so weitermachen. Ich habe das Gefühl, dass viele Menschen eben nicht mit diesem Menschenbild rumlaufen. Und die kriegen dann mitunter hier ein Problem…“
  „Wir wollen eigene Wege gehen, die Dinge tun, die uns wichtig sind und andere auf ihrem Weg unterstützen“, erklären mir die beiden. Gesellschaftlich gibt es dafür kaum anerkannte Freiräume und wenig Unterstützung. Auch deshalb entstand der Film „Berufswege“. Es geht nicht um äußere Instanzen, sondern um den selbstbestimmten Menschen.
Dem ist der Film auf der Spur. Drei Protagonisten, drei Berufswege. Werner Küppers ist einer von ihnen, geboren 1950. Er ist Künstler und Busfahrer. Neun Monate des Jahres lebt er in einem Doppeldeckerbus. Für rund 16.000 Kilometer im Jahr hat er die Hände am Lenkrad und fährt durch über 100 Städte in Deutschland. Er steht auf Marktplätzen, um mit den Menschen zu reden – über Direkte Demokratie durch Volksabstimmung. Für diesen Weg hat er sein einst „bequemes“ Leben aufgegeben.
Benjamin Hohlmann liebt Tango und Kaffee. Sein  Studium der Rechtswissenschaften hat er abgebrochen. Der 28-Jährige leitet heute in Basel eines der größten Cafés in der Schweiz. Ben möchte Verbindungen schaffen, ist Plattformgestalter – einer, der Interesse hat an anderen. Immer wieder hinterfragt er das „Weltzusammengehängsel“ – „Wie kommen die Dinge zustande?“ Sein Herz schlägt für Südamerika. Dorthin fliegt er – zum Ursprung des Produktes, um die Pflanze Kaffee kennenzulernen.
Nils Meister. Er ist 24 Jahre und lebt in einem Freiraumprojekt in Mecklenburg-Vorpommern.  Dort macht er eine Ausbildung zum „Baumeister“. Ein großes verfallenes Gutshaus, in das er sich verliebt und in dem er für Wochen völlig abtaucht, ist der Ausgangspunkt für seine freie Ausbildung – ohne Chef und ohne vorgefertigten Lehrplan. Der Werkstoff Holz hat es ihm angetan. Er fällt Bäume, zimmert Dachstühle neu, sägt, zeichnet, vermisst, tüftelt. Nils selbst formuliert sich in dem Film so: „Ich mache hier eine Ausbildung zu dem, der ich einmal sein werde.“
Berufswege. Ein zutiefst menschlicher Film, entspannt, sorgsam und aus dem Herzen gefilmt. „… direkter Ausdruck einer Liebesaufgabe“, wie der Autor Jelle van der Meulen es in einer Filmbesprechung nennt.
„Berufswege“ ist über den Film hinaus Suche und Selbstfindung. Gleich nach der Premiere fand in Berlin eine Tagung zu Inhalten des Films statt. Das ist Joshuas Welt. 50 junge Leute kamen, hörten einander zu, diskutierten. „Wir beschäftigten uns mit der Frage nach der eigenen Motivation, nach der Vision. Warum stehen wir morgens eigentlich auf? Woher kommt Mut? Und wie komme ich da hin, wo ich hin will?“
Ja genau, wie? Caroline schmunzelt. „Das ist ein ziemlich großes Fass. Ich kann nur sagen, es ist schon auch scheiß anstrengend und gar nicht so leicht, sein eigenes Potential zu nutzen. Und doch ist es für mich der einzig richtige Weg.“
Die beiden Filmemacher sind auf Stiftungsgelder, Spenden und Schenkungen angewiesen, um ihre Projekte zu realisieren. Ende des Jahres waren die ersten 1000 DVD’s  „Berufswege“ verschickt. Eine Neuauflage ist in Auftrag. Beim Vertrieb gibt es keine Festpreise, nur Richtwerte. Jeder entscheidet, was er geben kann und will. Auch hier zeigt sich die Offenheit und Entschlossenheit der beiden, Gedanken und Visionen in Taten umzusetzen.
 „Für mich geht es um Transformation – von der Erwerbsarbeit zur Sinnarbeit“, erklärt Joshua. „Immer wieder bin ich erschüttert, all die zum Himmel schreienden Aufgaben in der Welt zu sehen und gleichzeitig immer mehr Menschen, die keinen Ansatzpunkt, keine Aufgabe für sich in der Welt finden – zu sehen, was da kaputt gemacht wird, individuell, wie auch im Gesamten! Das geht ja bis zu der Überzeugung, dass nur das Arbeit ist, was entlohnt wird. Ich glaube genau das Gegenteil. Die meisten großen und wirklich notwendigen Aufgaben und Herausforderungen werden eben nicht bezahlt oder als Stellen ausgeschrieben…“
Darüber wollen sie mit möglichst vielen Menschen ins Gespräch kommen. Seit der Premiere und noch bis zum Sommer 2012 touren sie mit ihrem Film durch die Lande. Ziel sind Universitäten, Schulen, Kulturzentren und Jugendeinrichtungen. „Wir freuen uns auf Einladungen oder Hinweise“.
Es ist spät geworden in Neukölln. Mein Mitternachts-Interview neigt sich dem Ende. Sowohl der Film als auch seine jungen Macher inspirieren mich, eigene Werte und Wege neu zu überdenken. Der Film beginnt mit einem Zitat. Es wird Goethe zugeschrieben. Den liebt die junge Regisseurin. Es lautet:
„In dem Augenblick, in dem man sich endgültig einer Aufgabe verschreibt, bewegt sich die Vorsehung auch. Alle möglichen Dinge, die sonst nie geschehen wären, geschehen, um einem zu helfen. Ein ganzer Strom von Ereignissen wird in Gang gesetzt durch die Entscheidung, und er sorgt zu den eigenen Gunsten für zahlreiche unvorhergesehen Zufälle, Begegnungen und materielle Hilfen, die sich kein Mensch vorher je so erträumt haben könnte.
Was immer du kannst, beginne es. Kühnheit trägt Genius, Macht und Magie. Beginne jetzt.“
Weitere Projekte der Filmemacher