Meisterschaft

Eine Gemeinde machte sich große Sorgen um ihren Rabbi. Der alte Meister verschwand seit einiger Zeit immer genau zu Beginn des Schabbats aus der Synagoge. Die einen befürchteten, er hätte seine Pflichten vergessen, die anderen erinnerten die übrigen Gemeindemitglieder daran, wie bekannt der Rabbi für seine Heiligkeit war und dass er wahrscheinlich regelmäßig verschwand, um in den Himmel aufzusteigen. Vielleicht traf er dort sogar den heiligen Elija persönlich und bat darum, von den Gebrechen seines Alters verschont zu bleiben. Um letzte Gewissheit zu bekommen, beschlossen die Gemeindemitglieder eines Tages, einen Spion einzusetzen. Dieser sollte dem alten Rabbi folgen und herausfinden, wohin er jeden Schabbatabend ging. 

Der Tag kam, und kaum waren die Schabbatkerzen gelöscht worden, verließ der Alte die Synagoge. Er schlich sich die Straße hinunter, durchquerte auf einem steinigen Weg den Wald und stieg dann mühsam einen Berg hinauf in Richtung einer kleinen Hütte. Der Spion, der ihm unbemerkt folgte, sah den Rabbi kurz anklopfen, um dann im Inneren zu verschwinden. Der Spion näherte sich der Hütte und erkannte im schwachen Licht eines fast niedergebrannten Feuers den Umriss des Rabbis durch das Fenster. Er drückte sich in der Dunkelheit an die Hauswand, schob sich langsam unter das Fenster und blickte dann vorsichtig ins Innere der Hütte. Was er sah, hätte er sich in den kühnsten Träumen nicht vorstellen können: Auf einem Strohsack am Boden lag eine Frau, die ganz offensichtlich nicht zur Gemeinde gehörte. Eine „Heidin“. Sie war sehr dünn, ihr Gesicht war fahl, und das Atmen schien ihr schwerzufallen. Als Erstes fegte der Rabbi den Fußboden des Raums. Dann holte er Holz und entfachte das Feuer wieder. Anschließend holte er frisches Wasser vom Brunnen hinter dem Haus. Und letztlich kochte er der Frau einen großen Kessel Suppe und stellte ihn neben ihre Schlafstatt. Das genügte dem Spion. Er rannte den Berg hinunter, durch den kleinen Wald, zurück in den Ort, wo die Gemeindemitglieder bereits gespannt auf ihn warteten. »Was hast du gesehen? Ist unser Rabbi tatsächlich in den Himmel gegangen?«, fragte man ihn. In manchen Stimmen schwang dabei Hoffnung mit, in anderen hörte man Verachtung. Der Spion zögerte kurz mit seiner Antwort, dann sagte er: »Euer Rabbi ist nicht in den Himmel gegangen. Er ist um einiges höher gestiegen.« 

(Jüdische Erzählung)
Mit Dank an Dieter Miunzke https://miunske.org

Geplantes Wunder

Es war einmal ein blauer Planet
über dem schwebte von Beginn an
ein schwerer düsterer Magnet.
Sein Gitter zog alles in seinen Bann –
sowohl das Weib als auch den Mann.

Das brachte Leid und viele Sorgen.
Es gab auf die Mütze
als gäb’s kein Morgen.
Mit Gut und Böse währte kein Halten
alles Leben unterlag diesem ewigen Spalten.

Doch dann eines Nachts…. so munkeln die Spinnen
hat sich
so völlig krass von innen
ein Wunder in alte Risse geschoben
und das irdische Spiel
kosmisch angehoben.

Dieses Wunder war schon lang auf seiner Reise,
deshalb gebildet und ganz schön weise.
Weder trug es Kleider,
ward nicht groß noch klein,
dies ist eh nie gewesen ein Maß
im heiligen Sein.

Es hat sich bei seiner Ankunft auch nicht verbündet
oder schnell noch einen Verein gegründet.
Es wirkt einsame mit all seiner Macht
und dabei gleichwohl wie eine Feder so sacht.

Du fragst, was genau das Wunder hat vollbracht?

Nun, es hat gelassen geschaut,
sich vor allem selbst getraut –
mit Spucke verbunden die alten Wunden,
alles mit einem Segen bedacht,
jede Ecke damit schön sauber gemacht
und am Ende laut und herzlich gelacht.

So konnte etwas Verrücktes geschehen:
Es ward jetzt Lichte statt Dichte.

Ja, manchen Wesen tat das Neue sehr weh und einige sagten:
„Boah, nix für mich hier, ich geh!“
P.S. Die, die bleiben wollten, fanden das übrigens voll ok.

So erfüllt sich der Plan von der magischen Hülle
und niederkam jüngst
eine mächtige Fülle.

Ich sag’s euch , so ein Wandel ist nicht ohne
sowohl für Mensch als
auch für die Bohne.
(Und vielleicht meint letzteres ja auch des Vaters Samen-Sohne.)

(Berlin, 11.3.2022 – bei Sonnenschein und einem Grinsen im Gesicht)