Wir sind das Immunsystem der Erde!

Sonntag wäre ein günstiger Tag für meinen Besuch und ein Interview, schreibt Margrit Kennedy vor unserem Treffen in einer Mail. Dann nämlich gäbe es im Lebensgarten den besten Bio-Kuchen im Umkreis von 80 Kilometern. Ich bin gespannt. Auf den Kuchen und auf eine der angesagtesten Geldarchitektinnen der Gegenwart.
Seit 27 Jahren lebt Margrit Kennedy zusammen mit ihrem Mann Declan im Lebensgarten Steyerberg, einer großen Siedlungsgemeinschaft in Niedersachsen. Über 100 Menschen wirken dort an einer sozialen, kulturellen und ökologischen Vision.
Es ist Sonntag. Ich parke gleich am Eingang der Siedlung und frage nach. Ja, ich werde im Cafe´ erwartet. Einer der Lebensgärtner, dem ich zufällig auf dem Vorplatz begegne,  bedeutet mir, ihm zu folgen. Erstmal treppabwärts, dunkles Kellergeschoss. Ich blicke etwas verwirrt. „Lieferanteneingang“, murmelt er schmunzelnd und schiebt mich nach ein paar Metern auf kürzestem Wege in einen hellen gemütlichen Gastraum. Stimmengewirr und Geschirrklappern. Der Raum ist klein und voller Menschen, so dass es schließlich Margrit Kennedy ist, die aus dem Gewusel auf mich zukommt. Sie wirkt stark und fein zugleich – sympathisch, gelöst und natürlich. Und sie hält, was sie verspricht: Als erstes nämlich macht mich die Geldexpertin mit jenem angekündigten Bio-Kuchen-Buffet bekannt, das tatsächlich sensationell lecker aussieht. Mit Himbeersahnetorte und Quarkkuchen ziehen wir uns schließlich zum Gespräch in ihr Büro zurück.
„Occupy Money“ heißt das neueste Buch von Margrit Kennedy – erst kürzlich bei JKamphausen erschienen. Sie widmet es der weltweiten Occupy-Bewegung – jenen Menschen, die ihrer Frustration mit dem bestehenden Geld- und Finanzsystem öffentlich Ausdruck verleihen. Untertitel ihres Buches: Damit wir künftig ALLE die Gewinner sind. Und mit dieser Frage beginnt dann auch unser Arbeitsgespräch. Kann es das geben – eine Wirtschaft zum Wohle aller?
„Ich will versuchen, diese Frage sehr genau zu beantworten“, beginnt Margrit Kennedy. „Dazu gehört die Einsicht, dass das, was möglich ist und was wir fordern müssten, unrealistisch ist – und alles, was realistisch ist, ist viel zu klein… Ich beschäftige mich seit 30 Jahren mit dem Thema Geld und Zins – ein Thema, was jeder in 20 Minuten verstehen kann. Aus den unterschiedlichsten Gründen ist es dennoch schwer, das Verstandene dann umzusetzen. Meine Vision bleibt dennoch die Veränderung des Geldsystems, um darauf eine Wirtschaft aufzubauen, die allen dient.“
Für die 72-jährige Professorin ist Geld das Fundament der Wirtschaft. „Doch wenn allein das schon so schief, so unglücklich und ausbeuterisch konstruiert ist, kann darauf einfach keine Wirtschaft aufbauen, die dem Wohl aller folgt.“ Da spricht vor allem auch die Architektin und Ökologin. Beides ist sie von ganzem Herzen. Wie kam es eigentlich zu dieser Wandlung von der Haus-Architektin zur Geldarchitektin und Autorin? „Ich war von 1979 bis 1984 Leiterin der Forschungsabteilung Ökologie und Energie der Internationalen Bauausstellung in Berlin“, erzählt Margrit Kennedy. „Wir hatten damals viel Geld und legten in den 80igern sozusagen die Grundlagen der Stadtökologie. Während zahlreicher Vorträge im In- und Ausland stießen unsere Arbeiten auf großes öffentliches und fachliches Interesse, aber immer wieder auch auf Skepsis. Das häufigste Argument lautete: ‚Alles gut und schön, aber das rechnet sich nicht.’ Ich begegnete weltweit Menschen guten Willens und voller guter Ideen. Alle ökologischen Probleme waren technisch lösbar – was fehlte und immer noch fehlt, sind die politischen und wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Anwendung auf breiter Basis. Mir war klar, dass der Kampf ums Geld für ökologische Projekte eine Auseinandersetzung an vielen Fronten bedeutete.“
„Die Groschen fallen“ – so formuliert sie es heute selbst – 1983 bei einem Vortrag von Helmut Creutz. „Für mich war das ein Durchbruch. Erstmals begriff ich die zinsbedingte Kraft des Geldes und die Tatsache, dass sich die Rentabilität jeder ökologischen Maßnahme mit dem Zins, den man auf dem Kapitalmarkt bekommt, messen lassen muss. Ich habe damals sechs Monate gebraucht, um zu glauben, was ich verstanden hatte. Und noch viele weitere Jahre glaubte ich, dass ich diejenige bin, die spinnt.“
Alles in der Natur hört bei einer optimalen Größe auf zu wachsen. Betrachtet man die natürliche Wachstumskurve eines Baumes, eines Tieres oder eines Menschen, beginnt sie für kurze Zeit mit einem exponentiellen Wachstum, endet jedoch bei der jeweils richtigen Größe, beim Menschen ungefähr mit dem 21. Lebensjahr. „Diese Art des Wachstums ist in jeder gesunden Zelle unseres Körpers programmiert“, erläutert die Autorin. „Nun folgt das auf Zins basierende Geldsystem, das von Menschen konstruiert wurde, einem grundlegend anderen Wachstumsmuster – dem sogenannten exponentiellen oder Verdoppelungswachstum. Anfangs wächst das zinsbelastete Geld um sehr geringe Beiträge, dann aber kontinuierlich schneller, und schließlich verläuft die Wachstumskurve fast senkrecht. In der Natur findet dieses quantitative Wachstum erst mit der Zerstörung des Organismus sein Ende. Und genau nach diesem Muster verhält sich unser Geld, da sich Geldvermögen durch Zins- und Zinseszins in regelmäßigen Zeitabständen verdoppeln, bis das System zusammenbricht.“
Viele Menschen verstehen sie immer noch nicht, die destruktiven Folgen des exponentiellen Wachstums im materiellen Bereich. Das berühmte Beispiel vom Josephs-Pfennig zeigt, dass ein Geldsystem, welches auf Zins und Zinseszins beruht, nur kurz- und mittelfristig funktionieren kann. Hätte Joseph zur Zeit von Christi Geburt einen Pfennig investiert und wäre dieser von einer Bank mit durchschnittlich 5 Prozent pro Jahr verzinst worden, wäre dieser Pfennig im Jahr 2000 zum damals gültigen Goldpreis etwa 500 Milliarden Kugeln aus Gold vom Gewicht dieser Erde wert gewesen – zum Goldpreis in diesem Jahr. Das zeigt, in Form eines realistischen Symbols: „Geld frisst Welt“.
„Das Fatale ist, dass kein Mensch richtig damit Geld verdienen kann, wenn er das sagt und aufdeckt“, sagt die Architektin. „Ein Ökonom, der den Zins ins in Frage stellt, kann schon mal gar nicht Ökonomie studieren. Dem Banker geht es ähnlich. Wenn der diese Grundlage aller Modelle in Frage stellt, fliegt er am nächsten Tag raus. Unsere Fachleute gefährden also ihr eigenes Überleben, ihre Karriere, wenn sie das Geldsystem in Frage stellen. Das Paradigma ist so mächtig, sie kommen da einfach nicht durch.“
Fast alle Lebensbereiche – auch jene, die früher von der Gemeinschaft getragen wurden – hat der Mensch monetarisiert: Altenpflege, Kinderpflege, Kultur und Bildung. Nichts, was nicht Geld kostet, zum Bruttosozialprodukt gehört und ständig profitorientiert wachsen muss. „Und diese Monetarisierung ist mit einer Kälte verbunden, weil alles berechnet wird.“
Dennoch gehört Margrit Kennedy zu jenen, die niemals die Hoffnung aufgeben, dass die Probleme lösbar sind. „Ich weiß, dass ich gegen den zentralen Machtmechanismus anstänkere. Mich motiviert, dass immer mehr Leute verstehen. Die Occupy-Bewegung ist eine große Hoffnung. Wir alle gehören zum Immunsystem der Erde!“
Ein Paradigmen-Wechsel ist in vollem Gange. „Ja, kann sein, dass es an manchen Stellen ganz furchtbar krachen muss, bis wir alle aufwachen“, sagt die Alternativgeld-Pionierin. „Wir sind eine heterogene Menschheit und doch alle miteinander verbunden. Es liegt bei uns, wie lange es noch dauert. Mein Freund Jakob von Uexküll sagt immer: Ich bin weder Optimist noch Pessimist – ich bin ‚Possibilist’-  ich sehe Möglichkeiten!“
Für Margrit Kennedy ist dies die einzig vernünftige Haltung. „Mir sind die kleinen Beispiele so unendlich wichtig. Was meinen Sie, was die bewirken, diese kleinen Beispiele, die funktionieren und einen anderen Umgang mit Geld zeigen. Wir brauchen Alternativen zum herkömmlichen Geldsystem. Regionalgeld ist ein wichtiger Aspekt. Ich habe darüber ja auch ein Buch geschrieben. Und wir müssen den Segen begreifen, der im exponentiellen Wachstum im nicht-materiellen Bereich liegt…“
Das Nicht-Materielle und die wandelbare Architektin haben auf ganz eigene Weise feste Freundschaft geschlossen. Dass sie immer tiefer in das Thema eintaucht und schließlich als Nicht-Ökonomin ein Buch schreibt, das mittlerweile in 20 Sprachen übersetzt wurde, folgt nämlich offenbar ebenso einer spirituellen Dimension. Auf Drängen einer guten Freundin besucht Margrit Kennedy Mitte der 80er Jahre Seminare bei Art Reade, einem bekannten spirituellen Lehrer mit indianischen Wurzeln. „Ich wollte da nicht hin.“ Doch ihre Freundin ließ einfach nicht locker… Margrit Kennedy besucht schließlich das Basic- und Advancedseminar bei Art Reade. „In der letzten Meditation, wo es darum ging, die eigene Aufgabe in dieser Welt wahrzunehmen, sehe ich plötzlich, wie ich vor den Vereinten Nationen zum Thema Geld spreche. Da wusste ich, jetzt wird es ernst. Und ich begann ein Streitgespräch mit Gott. Ich sagte ihm, dass er das nicht machen kann. Ich hatte gerade meinen Job aufgegeben, wir waren umgezogen, hatten Land gekauft, mein Mann und ich wollten ein Permakultur-Modellprojekt aufbauen, allein würde er das nicht schaffen…. Und überhaupt, wer bin ich denn, dass ich mich mit diesem Geldthema beschäftige. Und ich sagte Gott, falls er das da oben noch nicht mitbekommen hätte: Ich bin überhaupt keine Ökonomin!“
Doch es folgt ein Erlebnis, was sie bis heute bestimmt. „Plötzlich sehe ich mein Leben in allen Einzelheiten vor mir ablaufen, in Sekundenbruchteilen: Meine Fehler, Umwege, die zwei Diplome, meine Doktorarbeit…. einfach alles. Und ich wusste ab diesem Moment, dass ich vorbereitet bin. Ich wusste es einfach. Das war heftig und völlig normal zugleich. Wohl ähnlich einer Nahtoderfahrung. Es gab keine Fragen mehr. Meine neue Richtung war klar.“
Noch in der gleichen Nacht nach dem Seminar folgt dann die Eingebung, ein erstes Buch zu schreiben.  „Ich war todmüde, wurde jedoch immer wieder aus dem Bett getrieben, einige wichtige Details auf einem Notitzblock festzuhalten. Sogar die Grafik für den Titel von „Geld ohne Zinsen und Inflation“ kommt in dieser Nacht als Idee durch. Die Krönung dann am nächsten Morgen: Ich telefonierte mit meinem Mann Declan und wollte ihm von meinen Erlebnissen berichten. Doch er sagte, ich solle bitte sofort Australien anrufen, wo eine Frau mich dringend sprechen wolle. Ich rief diese Frau an und es stellte sich heraus, dass diese gerade zwei Vorträge für die Vereinten Nationen organisierte – in Melbourne und Sidney. Sie lud mich ein, die Einleitungsvorträge zu halten…“
Diese Verbundenheit und Verbindung spürt Margrit Kennedy nun schon seit 30 Jahren.
„Ich bin jeden Tag dankbar. Ich liebe mein Leben.“
Ihr Mann Declan hat im Lebensgarten einen fünf Hektar großen Permakulturpark angelegt und im letzten Herbst 1000 Bäume gepflanzt. „So haben wir unser Geld angelegt.“
„Wir müssen uns auf Durchbrüche im Denken und auf mentaler Ebene vorbereiten und uns auf neue Formen von Beziehungen einlassen. Ich empfehle Menschen, ihr Geld gern auszugeben für alles, was sie und andere bereichert: Kunst, Kommunikation, Vielfalt in der Natur und im Geistleben. Damit schaffen wir mehr Schönheit und Gerechtigkeit.“
Und wenn dann noch etwas Geld für Schuhe übrig bleibt…. Für die hat Margrit Kennedy nämlich eine bekennende Schwäche.
Am Ende unseres Gespräches frage ich nach konkreten Tipps, wie wir alle ein nachhaltiges Leben jetzt und sofort gestalten können. Und fröhlich antwortet die Lebensgärtnerin: „Wir organisieren hier gerade ein Tanzfest. Freude und Freundschaften sind wichtig – Leute, mit denen man etwas schaffen und sich austauschen kann. Auch empfehle ich, einen biologischen Bauernhof zu finden, den man unterstützen möchte, ein solides Fahrrad zu kaufen und wenn möglich, einen Brunnen zu bohren. In diese Richtung würde ich investieren.“
Bücher, Videos und Präsentationen von und über Margrit Kennedy unter